Spannendes
Kampfschach und Endlospartien beim Bundesfinale
In Magdeburg fand jetzt
am Wochenende zum 44. Mal die Deutsche Einzelmeisterschaft im Schnellschach
statt. Sebastian qualifizierte sich dafür über die Niedersächsische
Meisterschaft, die im Januar in Verden stattfand. Am frühen Samstag
Vormittag machten wir uns auf den Weg ins Maritim Hotel nach Magdeburg,
wo die Meisterschaft ausgetragen wurde. Als Reisebegleiter - und Teilnehmer
natürlich - hatten wir Sebastians Manschaftskollegen Martin Breutigam
von unserer 1. Mannschaft des SK Union Oldenburg mit dabei.
Die Anfahrt war unproblematisch,
auch wenn ein paar Baustellen im Innenstadtbereich von Magdeburg mal wieder
für eine kleine Verspätung sorgten. Aber Sebastian und Martin
hatten nach Ankunft noch eine Dreiviertelstunde Zeit, um sich auf dem Zimmer
ein wenig frisch zu machen. Um 14 Uhr ging es dann in einem Saal des Maritim
an die Bretter.
|
|
Hotel
|
Spielsaal
|
Samstag
9 Runden (Samstag 5,
Sonntag 4) mit einer Bedenkzeitregelung von 15 Minuten + 10 Sekunden Inkrement
waren angesetzt. Der Spielsaal war geräumig und hell, gute Bedingungen
im Grunde. 28 Teilnehmer fanden sich ein, darunter auch 3 GM und 5 IM.
Unsere beiden Kämpfer starteten allerdings schwer ins Turnier - mit
jeweils zwei Nullen, wobei Martin u.a. das Hamburger Schachtalent Luis
Engel als Gegner hatte. Sebastian hatte es aber auch 2x mit 2300ern zu
tun, werfen wir einen Blick in seine Auftaktpartie, in der er auf Gewinn
stand:
Sebastian
vs. Johannes Paul
Dann jedoch für
beide der erste Sieg. Sebastian war dabei aber über eine Stunde lang
unterwegs, als er eine Gewinnstellung zunächst vermasselte und dann
ein Damenendspiel mit einem Mehrbauern ewig lange kneten musste, bis der
Gegner einbrach. Bei einer Basisbedenkzeit von 30 Minuten muss also eine
weitere halbe Stunde akkumuliert werden, um auf die genannte Spielzeit
zu kommen, wozu die Spieler 90 Züge benötigen. Die Partie dürfte
also über 100 Züge gedauert haben. Meist musste man immer auf
zumindest eine Begegnung lange warten, aber wir werden sehen, dass Sebastian
noch eine andere Partie spielen sollte, die rekordverdächtig war.
Sebastian und Martin
marschierten beide im gleichen Takt weiter und teilten sich in den letzten
beiden Partien am Samstag die Gegner - auch mit jeweils demselben Ergebnis.
Sebastian verlor zunächst gegen IM Schöne. Dieser musste aber
ein taktisches Scharmützel überstehen, nachdem Sebastian in schlechter
Stellung die Turmbombe warf:
Ralf
Schöne vs. Sebastian
Schöne hatte danach
auch noch Martin auf dem Gewissen, der zuvor gegen Collin Colbow gewann.
Auf dieses junge Talent aus dem Bremer Raum traf Sebastian dann wie gesagt
in der letzten Runde, und hier lieferte er eine starke Partie ab:
Sebastian
vs. Collin Colbow
An ein paar Stellen
ging es strenger, aber mit Schnellschachanalysen muss man natürlich
auch immer vorsichtig sein. Für den jungen Spieler vom Bremer Schachbund
war es letztlich auch ein zufriedenstellendes Turnier und wir werden sicher
noch das ein oder andere von ihm hören in der Zukunft.
Am Abend plünderten
wir dann das Hotel-Buffet, beim Saunabesuch danach konnte Sebastian seine
Kampfmotivation etwas herunterkühlen. Es war ein entspannter Abend.
Martin, der als Schachjournalist u.a. für die Süddeutsche und
den Tagesspiegel aktiv ist, konnte beim Essen manche Anekdote aus seinem
Erfahrungsschatz berichten. So war er zum Beispiel einst in Bremen mit
Mikhail Tal unterwegs. Bekannt ist auch, dass er vor ein paar Jahren Beobachtungen
zum merkwürdigen Verhalten des bulgarischen Spitzenspielers Topalov
während seiner Partien machte, was er, so meine ich, als einer der
Ersten und auch Wenigen sich traute, journalistisch öffentlich zu
publizieren.* Weniger bekannt ist, dass die Beiden sich dann bei der Olympiade
in Dresden plötzlich nebeneinander stehend wiederfanden… Nun denn!
Sonntag
Wenn zwei sich im Gleichklang
bewegen, dann kreuzen sich manchmal die Wege. So war es auch bei unseren
beiden Kämpfern aus Oldenburg. Sebastian stand gut und ließ
zweimal wohl gewinnverheißenden Vorteil aus, als die Partie dann
in eine dramatische Phase eintrat und es zu mehreren Umwandlungen kam:
Sebastian
vs. Martin
Der Meister hatte sich
durchgesetzt, und für ihn war das die Initialzündung zu einem
hervorragenden zweiten Turniertag. Nach einem weiteren Sieg bezwang Martin
in der vorletzten Runde Großmeister René Stern aus einer kritischen
Lage heraus.
Sebastian remisierte
mit Schwarz einen weiteren talentierten Spieler. In Erfurt 2016 gelang
Sebastian noch ein Sieg gegen diesen jungen Gegner, der aber mittlerweile
bei 2250 ELO rangiert (2150 DWZ). In den Partien ist übrigens jeweils
die Langzeit-ELO angegeben. In der vorletzten Runde reinkarnierte Sebastian
ein müerthologisches Wesen - die Seeschlange. Schauen wir uns zunächst
mal das Mittelspiel der Partie an:
Scherer
vs. Sebastian
Die Gewinnstellung
verarbeitete Sebastian schließlich zu in etwa der folgenden Konstellation:
|
Scherer - Sebastian
|
Das ist keine Gewinnstellung
mehr. Sebastian gab eine Unmenge Schachs auf den Diagonalen g1-a7 bzw.
h2-b8 und lief mit dem König mal hierhin und mal dorthin. Der Gegner
hätte ein Remis reklamieren können wg. der 50-Züge-Regel,
aber er schrieb natürlich nicht mit. Der Schiedsrichter zählte
wohl für sich selber, greift aber erst nach 75 Zügen aktiv ein.
Und soweit kam es nicht. Sebastian transportierte irgendwann seinen König
nach f1 und sorgte für die Trennung von Turm und König des Gegners,
dieser überschritt dann die Zeit.
Laut der Seite des
Deutschen Schachbundes dauerte die längste Partie in Magdeburg über
200 Züge. Es kann damit eigentlich nur diese Partie gemeint sein,
zumal man bei der Siegerehrung einen Sonderpreis für Sebastian für
die standhaftesten Partien oder so etwas anregte. Damit wäre er in
den Top 10 der längsten jemals entschiedenen Partien. Die MegaDatabase
von Chessbase kennt sieben entschiedene Partien über 200 Züge.
Als Zeuge der Dauer der Partie und durch ein paar logische Rückschlüsse
komme ich allerdings zu dem Ergebnis, dass die Partie wohl nicht länger
als etwa 150 Züge gedauert hat. Aber immerhin!
|
Sebastian beim
Handschlag vor der ominösen 200(?)-Züge-Partie
|
In der Schlußrunde
hatte Sebastian erneut das letzte Wort, aber hier verlor er das Endspiel,
nachdem er zuvor wieder Remis abgelehnt hatte. Zu dem Zeitpunkt stand er
wohl leicht besser. Und Remis liegt nunmal nicht in seinem Naturell. Gegen
Martin allerdings hätte er wohl annehmen sollen, diese Entscheidungen
trifft man aber ja ad-hoc - also keinen Vorwurf natürlich.
Martin rundete seinen
Tag ab mit einem Remis gegen einen weiteren Großmeister: Alexander
Naumann stand damit als Turniersieger fest. Aber Martin machte es ihm nicht
leicht und lehnte auch ein Remis zunächst ab. Als er aber schon nicht
mehr besser stand, wurde man sich handelseinig.
Fazit
Ein im Grunde gelungenes
Turnier mit vernünftigen Spielbedingungen. Leider ein wenig stiefmütterlich
behandelt in der allgemeinen Berichterstattung, wo es ein wenig untergeht.
Auch die Tatsache, dass keinerlei Preisgeld ausgeschüttet wurde, wirkt
irritierend bis befremdlich - immerhin ist es eine Deutsche Meisterschaft.
Zumindest gab es Pokale und Geschenkkörbe für die Erstplatzierten.
Platz 5 für Martin
war ein gutes Ergebnis. Auch Sebastian war mit seinem Spiel insgesamt zufrieden.
Er spielte hochambitioniert und wählte stets scharfe Fortsetzungen,
immer auf den vollen Punkt abzielend. Fehler darf man bei dem Bedenkzeitmodus
nicht überbewerten. Die Performance war mit knapp 2200 eher „im Rahmen
dessen“, aber es war ein sinniger Ausflug in den Osten der Republik, wo
etwas Sinnhaftigkeit in manchen (Glatz-)Köpfen derzeit nicht fehl
am Platze wäre.
Hier noch die offizielle
Seite: Link
frank modder, 11.09.2018
|
Blick vom Hotelzimmer
aus
|
* Bericht
in der Süddeutschen Zeitung, ursp. v. 27.01.2007. |